Vertical Food: Ghost Kitchen Pionier Beschir Hussain im Interview

Vertical Food: Ghost Kitchen Pionier Beschir Hussain im Interview

Der Berliner Beschir Hussain betreibt mit dem Ghost Kitchen Unternehmen Vertical Food zwei Standorte, in denen Gerichte für fünf Restaurantkonzepte und zehn digitale Filialen entstehen. Denn seine Köch:innen kochen kein Essen für den Verzehr vor Ort, sondern ausschließlich für das Liefergeschäft. Im Gespräch erklärt er, wie Geisterküchen den Liefermarkt revolutionieren.

Beschir Hussain, Foto: Vertical Food

Beschir, du hast in New York studiert und in Dubai gearbeitet. Vor dreieinhalb Jahren kamst du zurück in deine Heimatstadt Berlin und hast Vertical Food gegründet. Wie hat es dich in die Food-Branche verschlagen?

Ich habe überraschenderweise keinen Food-Background. Durch meine Gründung des Liefermarktplatzes Hellofood im Nahen Osten habe ich allerdings die Erfahrung gemacht, dass viele Kunden gerne online bestellen, die Qualität des Essens aber schwankt. Das liegt in erster Linie daran, dass die Mehrheit der Restaurants, die das Essen zubereiten, eher auf den stationären Verkauf konzentriert sind. Die Speisen sind nicht wirklich für das Liefergeschäft gedacht.

Verpackt lange Lieferwege zurücklegen: Bestelltes Essen hat oft den Ruf, von schlechter Qualität zu sein. Worin besteht der Unterschied im Zubereiten von Speisen für den stationären Verkauf und für das Liefergeschäft?

Die Parameter, nach denen Speisen entwickelt und produziert werden, unterscheiden sich sehr deutlich: Bei Restaurants, die auf den stationären Verkauf ausgelegt sind, wird die Zeit zwischen Fertigstellung der Speise und Auslieferungszeitpunkt meist nicht mit eingerechnet. Das Produkt arbeitet während der Lieferzeit weiter. Das berücksichtigen wir bei der Entwicklung und Zubereitung unserer Gerichte.

Wie funktioniert das in der Küchenpraxis?

Wir stellen keine Artisten oder Künstler in die Küche, die nach eigenem Gusto kochen, sondern versuchen den Zubereitungsprozess in Form von Manuals zu standardisieren. So wissen die Köche ganz genau, wie sie vorgehen müssen und die Qualität ist gleichbleibend.

Welche Food-Marken werden in den beiden physischen Standorten von Vertical Food bedient und auf wie viele digitale Restaurants entfallen sie?

Vadolí ist unsere italienische Liefermarke. Diese hat zwei digitale Restaurants, verteilt auf unsere beiden physischen Standorte; ebenso Fresh’s mit Bowls und Salaten, Spyces mit mediterraner Küche und Spaghettini mit Pasta. Außerdem haben wir zurzeit noch die Pop Up Marke The Hummus Club. So kommen fünf Marken auf zwei Standorte und zehn digitale Restaurants.

Bestellst du dir privat auch gerne mal Essen nach Hause oder ins Büro?

Abends bestelle ich am liebsten eine Bowl oder einen Salat. Ich bestelle nicht ausschließlich, aber mehrheitlich über unsere eigenen virtuellen Restaurants.

Beschir Hussain, Foto Vertical Food

Was bedeutet Vertical Food?

Wir betreiben eine eigene Bestellplattform, eigene Küchenstandorte, eine zentralisierte Logistik und eine unterstützende technologische Infrastruktur, die alle Prozesse entlang des Bestellprozesses begleitet – damit sind wir vertikal in den Markt integriert. Dafür steht Vertical Food.

Was ist die Vision von Vertical Food?

Unsere Vision besteht im Aufbau einer Infrastruktur für die Entwicklung und Zubereitung von Premium Liefermarken. Das setzt für uns voraus, dass wir nachhaltig arbeiten können. Unser Küchen sind in der Kundenakquise und Logistik nicht von Drittanbietern abhängig.

Wie groß ist dein Unternehmen bisher? Nenne bitte mal ein paar Zahlen.

Vertical Food wurde vor vier Jahren gegründet. Aktuell haben wir zwei Standorte in Berlin mit insgesamt zehn digitalen Restaurants und beschäftigen 60 Mitarbeiter.

Ghost Kitchens sind in den USA oder in Großbritannien längst keine Seltenheit mehr. In Deutschland spielen sie noch keine dominante Rolle. Welche Chancen siehst du in dem Konzept für den deutschen Markt?

Das Konsumverhalten in Deutschland wird sich langsam verändern. Aufgrund der durch die Pandemie beschleunigten Nachfrage ist die Anzahl an verfügbaren Restaurants für das Liefergeschäft enorm gewachsen. Langfristig gesehen werden sich auf dem Markt mehr Akteure auf das Liefergeschäft konzentrieren wollen. Gleichzeitig werden aber auch die Erwartungen von Kunden höher sein, in Bezug auf die Essensqualität, die Lieferzeit und die Einhaltung von Hygienekonzepten in den Küchen.

Der Liefermarkt profitiert aktuell von der Corona-Krise. Doch wie wird „the new normal“ nach der Pandemie aussehen? Stirbt der stationäre Restaurantbesuch aus?

Ich glaube nicht, dass es zwingend ein Entweder/Oder gibt. Beide Konzepte können meiner Meinung nach koexistieren. Die Menschen werden auch weiterhin ausgehen und in Restaurants essen. Nichtsdestotrotz werden mehr Menschen zukünftig Essen auch online bestellen. Diejenigen, die vorher keine Erfahrung mit Online-Lieferdiensten hatten, sind während des Lockdowns wahrscheinlich dazu gekommen, eine Food Applikation auszuprobieren und werden diese Möglichkeit zukünftig sehr wahrscheinlich auch wieder nutzen.

Gibt es Trends im Konsumwandel, die sich bereits jetzt abzeichnen?

Es gibt diverse Trends, die wir beobachten können, wie beispielsweise die Bezahlmethode für die sich Kunden entscheiden. Vor der Pandemie wurden 75 Prozent unserer Transaktionen digital bezahlt. Mittlerweile bezahlen 90 Prozent unserer Kunden digital und die restlichen zehn Prozent bezahlen bar.

So praktisch es ist, sich Essen liefern zu lassen, es besteht leider immer die Problematik, dass Verpackungsmüll entsteht. Wie kann man das Liefergeschäft nachhaltiger gestalten? Was konkret wird von deinem Unternehmen dafür getan?

Unsere Logistik ist emissionsfrei, alle Bestellungen werden mit elektronischen Fahrrädern, Scooters und Autos ausgeliefert.

Wie möchtest du dein Unternehmen in Zukunft weiterentwickeln?

Wir möchten in diesem Jahr in weitere Städte wachsen, mit neuen Standorten, neuen Food Marken und neuen Formaten. Der Vorteil unseres Modells besteht darin, dass wir mit der Eröffnung eines neuen Standorts über Nacht mit zehn neuen Restaurants an den Start gehen können. Wir werden uns weiterhin auf den deutschen Markt konzentrieren.

 

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