Gastro-Konzepte der Zukunft Teil I: Radikal regional im Seven Swans

Gastro-Konzepte der Zukunft Teil I:
Radikal regional im Seven Swans

kollex präsentiert innovative Gastro-Konzepte: Durch ein besonderes Engagement geben sie den progressiven Ton für eine nachhaltigere Zukunft an. Mit dem Seven Swans in Frankfurt am Main geht das weltweit erste vegane Sternerestaurant von Ricky Saward an den Start.

Ricky Saward (Copyright: Ricky Saward)

Als das französische Restaurant Ona im Jahr 2020 einen Stern vom Guide Michelin erhalten hat, war der mediale Trubel groß: Eine deutsche überregionale Tageszeitung titelte online, dass das „weltweit erste vegane Sternerestaurant“ geboren sei. Dem schlossen sich die Berichte vieler anderer Medien an. Doch weit gefehlt. Das erste seiner Art war das Seven Swans in Frankfurt am Main. Nachdem es im Juli 2019 von vegetarischer auf vegane Küche umgesattelt hat, konnte der Michelin-Stern erfolgreich gehalten werden – ein Meilenstein für Chef de Cuisine und Gesellschafter Ricky Saward. 

Ricky Saward über Irrtum: „Das war ein Stich ins Herz für mich“

Er zeigt sich enttäuscht über die Falschmeldung: „Das lesen zu müssen, war ein Stich ins Herz für mich“. Er wünsche sich zwar mehr Achtung, auch von Kolleg:innen aus seiner Branche, doch im Endeffekt sei ihm das auch irgendwie egal: „Das gehört zu unserer Philosophie. Wir ziehen unser Konzept radikal durch und kümmern uns nicht um das, was andere sagen. Die Resonanz unserer Gäste ist das, worauf es ankommt“, macht Saward deutlich. 

Das Seven Swans-Konzept: radikal, vegan und autark

Das Konzept vereint gleich mehrere Alleinstellungsmerkmale: Im schmalsten Haus Frankfurts kocht Saward vegane Gourmetküche, deren Zutaten fast ausschließlich aus dem Restaurant - eigenen Gemüsegarten im Taunus stammen. „Auf den Braumannswiesen arbeiten wir nach den Prinzipien der Permakultur. Das bedeutet, dass wir dem Boden mehr geben als entnehmen“, fasst der Koch zusammen. Das funktioniere durch eigenes Mulchen und Kompostieren. Zum Einsatz kommen weder künstlicher Dünger noch Pestizide oder Dieseltraktoren als Erntehelfer – „alles Handarbeit“, betont Saward. Anbau im Einklang mit der Natur sei das, denn die Fruchtfolge werde beachtet und Gemüsesorten nebeneinander gepflanzt, die sich gegenseitig unterstützen. Das geerntete Gemüse geht ohne Umwege direkt an das Seven Swans. 

Das Seven Swans von innen (Copyright: Seven Swans)

Mirabellen vom Gast des Vertrauens

Kürzlich habe ein Gast von seiner üppigen Mirabellenernte erzählt und Saward eine Kiste mit dem Kernobst angeboten. „Die habe ich dankend angenommen“, freut sich der Sternekoch. „Auch das ist nachhaltig – aber natürlich nur, wenn es biologisch und regional ist“, betont er. Ein Restaurant nahezu autark durch die eigene Permakultur zu betreiben, funktioniere nur anhand durchdachter Planung. Im letzten Jahr etwa ging der Lockdown bis Mitte Mai. „Dann klingelte plötzlich das Telefon und es hieß, ‚ihr dürft morgen wieder öffnen‘. Für uns ist es völlig utopisch, den Betrieb von heute auf morgen hochzufahren“, lacht Saward. Dementsprechend „winterlastig“ sei das Seven Swans also in den Restart gegangen: „Wir haben auf unsere Reserven zurückgegriffen und viel Fermentiertes und Eingelegtes auf die Teller gebracht. An Frischem konnten wir nur das nehmen, was in den Sommermonaten schnell wächst, also Salat und Kräuter“, erinnert sich Saward. 

Das Seven Swans von innen (Copyright: Seven Swans)

Ohne Servicekräfte näher an den Gästen 

Auch im laufendem Betrieb schlägt das Seven Swans unkonventionelle Wege ein: „Wir verzichten komplett auf den Service. Wir Köche können den Gästen ja viel besser erklären, welche Geschichte hinter dem Essen steckt“, findet Saward. Das Konzept ohne Service funktioniere auch gut, weil das Restaurant mit maximal 24 Plätzen und zu Corona-Zeiten nur acht Plätzen, recht klein ist. 

Wie sieht ein veganes Sternemenü aus?

Zurzeit tüftelt der Sternekoch am neuen Menü, das im März eingeführt wird. Auf dem aktuellen Wintermenü steht etwa veganes Brioche mit Leinsaataufstrich und Zwiebelsuppe mit Champignon-Schaum als Starter. Anschließend serviert Saward eine Platte mit Appetizern: Kohl-Maki, Rote-Bete-Röllchen, Spitzkohl-Tartelette mit Bärlauch-Espuma und fermentierte Bärlauchkapern. Im ersten Gang gibt es dann auf Holzkohle gegrillte Schwarzwurzel, geschmorrte Schalotten, Selleriecreme und Schaum vom gebackenen Sellerie. Als zweiten Gang kredenzt der Koch Gerstenrisotto, das im Sud von fermentierten Shiitake-Pilzen gekocht wurde und mit Pastinakencreme Grünkohlchips, Feigencreme und schwarzer Knoblauchcreme daherkommt. Es folgt eine Adaption der Bäckerin-Kartoffeln (ähnelt Gratin), dazu geschmorrter und gefüllter Lauch, Majoranöl und ein Chip aus reiner Kartoffelstärke. Außerdem serviert Saward Rotkohl, der in Roter Bete und fermentiertem Rotkohlsaft gebadet hat. Dazu kommen Shiitake-Pilze in veganer Sauerbratensoße auf den Tisch. Als Dessert gibt es Topinambur-Eiscreme, Walnuss-Mais-Biskuit und ausgehöhlten Apfel auf einem Schaum der fermentierten Apfelblüte mit einem Crumble aus Hanf, Hafer und Walnuss. 

Ausgefallene Gerichte aus der Sterneküche des Seven Swans (Copyright: Seven Swans)

Alter Anbau und wilde Ernte 

Der Sternekoch Ricky Saward auf den Braumannswiesen (l.) (Copyright: Ricky Saward)

Auf dem Anbauplan der Braumannswiesen stehen vor allem alte Sorten: „Das finden unsere Gäste interessanter“, bemerkt Saward nebenbei, während er eine lange Liste bekannter und exotischer Gemüse- und Obstsorten im Staccato runterrattert. Bei der Aussaat helfe auch das Küchenteam mit. Was auf den Braumannswiesen nicht wächst, wird wild geerntet: „Ich kenne viele Stellen gerade um Offenbach am Main herum, wo das erlaubt ist“, erklärt Saward. Gearbeitet werde auf den Braumannswiesen mittlerweile ganz ohne Plastik. Zuvor haben die Gärtner:innen recycletes Plastik verwendet. Da darauf nun verzichtet werden soll, habe das Team etwa einen speziellen Pavillon aufgebaut, unter dem Tomaten gedeihen. Im vergangenen Jahr haben die Gourmetgärtner:innen die Anbaufläche auf fünf Hektar vergrößert und einen Teich zur Bewässerung angelegt. „Außerdem haben wir viel Obst gepflanzt: Kirschen, Pflaumen, Äpfel, Birnen und Quitten“, erklärt Saward.

Der Provokateur der Sterneküche

Der Sternekoch, der selbst seit einigen Jahren vegan lebt, möchte mit seinem Restaurant in der Gastro-Welt etwas verändern. „Es geht um den Grundgedanken der Nachhaltigkeit“, sagt er. Die Seven-Swans-Philosophie ist radikal: „Wir legen größten Wert auf Saisonalität, Regionalität und Nachhaltigkeit. Bis wir da waren, wo wir jetzt sind, war es ein Entwicklungsprozess. Das Korsett ist jetzt so eng gezogen, dass es nicht mehr enger geht“, sagt Saward. 

 

Anzeige