Lockerungen sind in Sicht: Mit diesen Expertentipps starten Gastronom:innen durch
Lockerungen sind in Sicht: Mit diesen Expertentipps starten Gastronom:innen durch
Maske, Impfnachweis und Test könnten künftig wegfallen. Kann die Branche mit Hochbetrieb rechnen? Gastronomieberater Michel van Goethem weiß, gute Vorbereitung ist das A und O. Im Interview verrät er, worauf Wirt:innen jetzt achten sollten – für einen erfolgreichen Start.
Die fünf wichtigsten Experten-Tipps auf einen Blick:
Den Betrieb überprüfen, als wäre es eine Neueröffnung:
Mitarbeiter:innen nochmal völlig neu einarbeiten – welche Neuerungen gibt es? Welche digitalen Mittel sind hinzugekommen?
Funktionieren alle Geräte auf Volllast?
Kalkulation überprüfen!
Neues Vertrauen bei den Gästen schaffen.
Outdoor wird das neue Indoor!
Nachhaltigkeit, Liefer- und To-Go-Geschäft nicht vernachlässigen!
Workspaces in der Gastronomie werden verstärkt gefragt sein, der klassische Mittagstisch im Bürogebiet tendenziell eher weniger.
Herr van Goethem, die Politik hat jüngst Lockerungen beschlossen: Ab dem 4. März gilt bundesweit 3G im Gastgewerbe. Am 20. März findet voraussichtlich der sog. „Freedom Day“ statt, ab dem die meisten weiteren Einschränkungen zurückgenommen werden sollen – einige Bundesländer haben jedoch bereits angekündigt, dass sie aufgrund des hohen Infektionsgeschehens nicht mitziehen. Wie lautet Ihre Prognose? Kann sich die Situation noch einmal so verändern, dass die Lockerungen zurückgenommen werden müssen?
Ich gehe davon aus, dass das Infektionsschutzgesetz, das am 19. März ausläuft, trotzdem nochmal verlängert wird. So hätten die Länder weiterhin die Möglichkeit, Maßnahmen zu ergreifen, wenn dies nötig werden sollte.
Worauf können sich Gastronom:innen nun einstellen?
Die Gastro-Branche kann sich darauf einstellen, dass wir einen vorsichtigen Einstieg üben müssen. Auf dem Papier steht, dass der „Freedom Day“ Lockerungen bringt. Die Frage ist, wie die Menschen damit umgehen werden. Denn die Lockerungen müssen auch bei ihnen ankommen. Gäste müssen wieder Vertrauen gewinnen. Ein Großteil der Kund:innen wird sicher erstmal noch recht vorsichtig sein. Auch unter den Mitarbeiter:innen wird es Menschen geben, die nach wie vor Angst haben. Da gilt es, auf die leisen Töne zu hören und diese ernst zu nehmen.
Wie kann es gelingen, bei den Gästen neues Vertrauen zu schaffen?
Dadurch dass Gastronom:innen in den letzten zwei Jahren Impfzertifikate, Testnachweise und Maskenpflicht prüfen mussten, waren sie quasi in einem Kontrollmodus. Da müssen wir raus und bei den Gästen die Kontrolle in Vertrauen umwandeln. Dazu gehört es, gut zuzuhören und auch den Mitarbeiter:innen eine gewisse Einfühlsamkeit gegenüber den Gästen zu vermitteln.
Die Pandemie hat die Welt verändert. Worauf sollten Gastronom:innen jetzt einen Fokus legen?
Gerade in Bezug auf den kommenden Sommer sage ich: Outdoor wird das neue Indoor. Es reicht nicht mehr, einfach einen Tisch und eine Bank draußen aufzustellen. Außerdem hat sich die Arbeitswelt durch die Pandemie grundlegend verändert. Klassische Bürogebiete sind weniger frequentiert. Gastronom:innen, die ihr Angebot auf den Mittagstisch ausrichten, müssen sich dieser Entwicklung klar sein. Gleichzeitig steigt in Wohngebieten die Nachfrage nach Workspaces in der Gastronomie. Denn auch, wer im Homeoffice arbeitet, möchte gerne mal im Café sitzen und dort seiner Tätigkeit nachgehen. Das bietet eine Chance für Gastronom:innen. Wichtig ist, mit diesen Entwicklungen mitzugehen.
Wie bereiten sich Gastronom:innen optimal auf den anstehenden Normalbetrieb vor? Was raten Sie ihren Klient:innen?
Allen Betrieben, die ich betreue, sage ich: „Wir machen wieder neu auf und lassen die Maschine auf Volllast laufen“. Das bedeutet, dass für alle Mitarbeiter:innen ein Onboarding stattfinden muss und zwar nicht nur für diejenigen, die neu im Team sind, sondern vor allem auch für die, die jetzt aus der Kurzarbeit kommen. Und auch für die Mitarbeiter:innen, die die ganze Zeit da waren, muss es ein Refresher-Training geben.
Wie sieht ein neues Onboarding und ein Refresher-Training in der Praxis aus?
Alle Geräte kontrollieren und den Ablauf auf Volllast prüfen – als wäre es eine Neueröffnung! Also gemeinsam mit den Mitarbeiter:innen durch den Betrieb gehen und schauen: Was ist neu dazu gekommen? Viele Gastronom:innen haben sich in der Pandemie etwa ein digitales Reservierungssystem angeschafft. Wie funktioniert das? Welche Stornierungsbedingungen gelten im Betrieb? Wie funktioniert die Kasse? Wo kommen Online-Bestellungen an?
Wie können Wirt:innen ihr Team motivieren?
Das möchte ich an einem Beispiel erklären: Umkleiden und Personalessen sind zwei Punkte, die in vielen Betrieben vernachlässigt werden. Die Mitarbeiter:innen können ihre Taschen in irgendeiner Ecke abstellen und es gibt irgendwas aus der Küche zu essen. Es kann zu einem guten Teambuilding beitragen, einen Umkleidebereich zu installieren, in dem die Privatsphäre gewahrt wird. Außerdem könnte man ein festes Personalessen am gedeckten Tisch vor Betriebsbeginn ausrichten. In dem Rahmen hätten Arbeitgeber auch die Möglichkeit, das Personal ordentlich zu briefen und miteinander ins Gespräch zu kommen. Gleichzeitig fühlen sich die Mitarbeiter:innen wertgeschätzt.
Die Pandemie hat mitunter das Problem des Personalmangels in der Gastronomie verstärkt. Viele Mitarbeiter:innen haben sich in andere Branchen umorientiert. Gastronom:innen befinden sich aber aktuell in der Situation, dass der Betrieb hochgefahren wird und demnach wieder mehr Arbeitskräfte benötigt werden. Wie können sie diesem Problem begegnen?
Der Arbeitgeber sollte sich selbst prüfen, ob er attraktiv ist für den Arbeitnehmer:innen. Dabei ist es sehr wichtig, online unterwegs zu sein. Gastronom:innen sollten dafür sorgen, dass sie einen repräsentativen Online-Auftritt haben, denn potentielle Bewerber:innen werden sich zuvor auch online anschauen, mit wem sie es zu tun haben. Natürlich funktionieren Stellenausschreibungen in der Branche auch online platziert besser, als klassisch in der Wochenzeitung. Die junge Generation benötigt außerdem eine andere Ansprache: Die Beschäftigung muss sinnstiftend sein und es geht nicht mehr nur darum, möglichst viel Geld zu verdienen. Nachhaltigkeit ist mittlerweile ein wichtiges Kriterium.
Wie können Gastronom:innen ihren Betrieb nachhaltiger gestalten?
Grundsätzlich sollten Gastronom:innen ein Leitbild der eigenen Firma zu erstellen: Wer sind wir und was sind unsere Werte? Und leben wir dieses Leitbild auch im Arbeitsalltag? Die Grundprinzipen eines nachhaltigen Betriebs lauten: Reuse, Repair, Reduce und Recycle! Wirte sollten sich von Geräten, die viel Strom verbrauchen und 180 Gerichten auf der Karte verabschieden. Ein nachhaltiger Betrieb bezieht zum Beispiel Öko-Strom und macht sich Gedanken über die Herkunft der Lebensmittel. Wie groß ist der CO₂-Fußabdruck? Ist das Speisenangebot gesund und umweltschonend? Gibt es CO₂-neutrale Gerichte auf der Karte? Beim Takeaway und To-Go-Geschäft sollte man auf wiederverwendbare Boxen setzen. Nach diesen zwei Jahren Pandemie müssen Gastronom:innen schauen, ob sie in der Hinsicht noch up to date sind. Übrigens machen solche Leitwerte den Betrieb nicht nur für die Gäste, sondern auch für die Mitarbeiter:innen attraktiv.
Das Liefer- und To-Go-Geschäft spielt seit der Pandemie eine wichtige Rolle. Sollten Gastronom:innen auch weiterhin darauf setzen?
Es ist sehr wichtig, dass Gastronom:innen, diese Sparte nicht vernachlässigen und sich möglichst breit aufstellen. Darunter fallen Lieferungen und To Go, aber auch Grab and Go und Kochboxen oder sogar eigene Online-Shops. Die Nachfrage nach diesen Dingen wird weiterhin groß sein.
Worauf ist mit Blick in die Rechnungsbücher zu achten?
Die Kalkulation muss jetzt unbedingt überprüft werden, denn vieles hat sich im Laufe der letzten zwei Jahre verändert: Wie gestalten sich die Einkaufspreise? Stimmen meine Aufschlag- und Deckungsbeitragskalkulation noch? Der Mindestlohn von zwölf Euro wird jetzt kommen. Auch das müssen Gastronom:innen einberechnen.
Das klingt nach einer umfangreichen Liste an Dingen, die es für Gastronom:innen jetzt zu beachten gilt. Mit welchem Mindset können sie wieder voll durchstarten?
Heute gilt schon lange nicht mehr: „Wer nichts wird, wird Wirt“. Zeitgemäße Gastronom:innen sind kreative Tausendsassa. Außerdem können wir uns alle darauf freuen, endlich wieder das sein zu dürfen, was wir sind: Gastgeber.
Michel van Goethem ist gelernter Hotelfachmann und hat zwölf Jahre lang ein eigenes Lokal geführt. Seit 2010 ist er als Gastronomieberater tätig. Im Auftrag des DEHOGA Hessen ist er unterwegs, um die „Hessen à la carte-Betriebe“ zu zertifizieren – mit einem Qualitätssiegel für Regionalität und Nachhaltigkeit. Er engagiert sich in der Initiative Gastronomie Frankfurt e. V., einer Interessensvertretung von Individualgastronom:innen in Frankfurt am Main. Daneben ist van Goethem als Service-, sowie Food & Beverage-Coach für TUI im Mittelmeerraum unterwegs, wo er große Hotel- und Restaurantanlagen optimiert. Gemeinsam mit Julius Wagner, dem Geschäftsführer des DEHOGA Hessen, hostet er den Podcast „Die kleine Kneipe“.