Gastro-Restart Teil IV: Gemischte Gefühle in der Hansestadt

Gastro-Restart Teil IV:
Gemischte Gefühle in der Hansestadt

Die Barbetreiberin Betty Kupsa (The Chug Club) ist von der Hamburger Corona-Politik enttäuscht und macht sich im Barkombinat für die Interessen der inhabergeführten Individualgastronomie stark. Wir haben sie gefragt, was der Restart der Barszene bringt. Ein Erfahrungsbericht.

The Chug Club Bar (Copyright: Tim Gerdts)

„Hier in Hamburg durfte die Außengastronomie ab dem 22. Mai öffnen, die Innenbereiche kamen ab dem 4. Juni dazu. Ich habe meine Bar „The Chug Club“ erst ab dem 4. Juni aufgemacht. Wir haben zwar einen Außenbereich mit elf Tischen, aber die Wetterlage ist hier in Hamburg nicht so stabil wie anderswo. Nur den Außenbereich zu öffnen, hätte sich nicht gelohnt und wäre zu riskant gewesen. Stelle dir vor, du schaust nachmittags in den Himmel und es ist alles zugezogen. Diese Ungewissheit, ob es sich lohnen wird, nun zu öffnen, bedeutet Stress. Diesen Druck wollte ich mit meinem Entschluss, erst später zu öffnen, rausnehmen. 

Ich habe außerdem damit gerechnet, dass die Öffnung der Innengastronomie ganz anders von statten gehen würde, als es letztendlich gekommen ist. Unser Senat hatte nämlich einen Stufenplan verabschiedet, nach dem die Innengastronomie schätzungsweise erst gegen Ende Juni hätte öffnen dürfen. Dann wurde plötzlich von heute auf morgen von dem Plan abgewichen und ganz kurzfristig verkündet, dass die Gastronomie öffnen könne. Wir haben drei Tage komplett durchgearbeitet, um die Öffnung möglich zu machen. Ich weiß nicht, wie unser Senat sich das vorgestellt hat. Dass wir die Kühlschränke anstellen und dann geht’s weiter? So funktioniert das leider nicht. Hier war alles still gelegt, der komplette Betrieb musste aus seinem Dornröschenschlaf geholt werden. Mit vereinten Kräften haben wir das dann aber geschafft. Mein Team ist wirklich toll, es haben alle mit angepackt.“ 

Kritik an der Politik: anhaltende Perspektivlosigkeit

The Chug Club Karte (Copyright: Tim Gerdts)

„Das Desinteresse des Hamburger Senats an den Belangen der Gastronomi:innen zieht sich durch die gesamte Pandemie. Dass wir auch immer wieder als Pandemie-Treiber dargestellt werden, obwohl es dazu keine Nachweise gibt, ist nicht in Ordnung. Ich finde einfach, es ist jetzt langsam mal an der Zeit, dass auch wir eine Perspektive bekommen. Die Leute fliegen mittlerweile wieder in den Urlaub. Es ist überall dichtes Gedränge, zum Beispiel im öffentlichen Nahverkehr, und ich muss meine Bar ab 23 Uhr schließen. Das kann doch wohl nur ein schlechter Scherz sein! Ich finde, wir werden von der Politik in der Luft hängen gelassen, weil es gar keine Information darüber gibt, wann es innen ohne Beschränkungen weitergeht. Die Inzidenz fällt immer weiter und wir haben noch immer keine Perspektive. Das ist einfach nur frustrierend nach dem langen Lockdown.

Zurzeit gilt hier eine Sperrstunde ab 23 Uhr, was uns das Geschäft wirklich arg erschwert. Unter diesen Umständen können es Cocktailbars, Kneipen und Nachtgastronomien eigentlich gleich lassen. Das ist fast mit Berufsverbot gleichzusetzen. Wegen der Sperrstunde haben wir im Chug Club unsere Öffnungszeiten angepasst, sodass wir bereits um 16 Uhr öffnen. Aber uns fehlen hintenraus die paar Stunden, die wir brauchen, um ein bisschen Umsatz zu machen. Für meine Bar ist ein wirtschaftliches Arbeiten unter diesen Gegebenheiten jedoch fast unmöglich.“

Systemrelevante Barkultur?

„Ich habe mich im letzten Jahr dem Barkombinat Hamburg angeschlossen. Das ist eine Interessensvertretung für Bars, Kneipen und Schankwirtschaften. Wir sind alle inhabergeführte Individualgastronom:innen. Momentan besteht unsere Hauptforderung darin, dass die Innengastronomie ohne Beschränkungen stattfinden kann. Denn nur so kann eine kleine Kiezkneipe weiter überleben. Wir brauchen Planungssicherheit und müssen wissen, ab welchem Punkt es weitergeht und wir wieder wirtschaftlich arbeiten können. Ein weiteres Anliegen des Barkombinats ist, dass uns eine Systemrelevanz zugesprochen wird. Gastronomie hat eine kulturelle Berechtigung. Die Bar ist ein Ort der Begegnung. Es muss daran gearbeitet werden, dass die Barkultur wertgeschätzt wird. Wenn die Individualgastronomie in Hamburg pleite geht, dann ist das auch für den Tourismus der Stadt extrem schlecht.

The Chug Club Agavenschrank (Copyright: Tim Gerdts)

Was seitens der Politik in viel höherem Maße hätte stattfinden müssen, ist mit den Betroffenen zu sprechen und herauszufinden, wo denn gerade die größte Not liegt. Unsere Bedürfnisse sind nicht ausreichend berücksichtigt worden. Stattdessen wurden wir nach Gießkannenprinzip überfahren. Hinsichtlich der Überbrückungshilfen hat zum Beispiel alles Ewigkeiten gedauert. Es gab außerdem keine Unternehmer:innenlöhne. Man musste Hartz IV beantragen. Einen vereinfachten Zugang zur Grundsicherung hat es nicht gegeben. Dass es die ganze Zeit auch keine vernünftigen Perspektive gab, ist bis heute so. Ich weiß immer noch nicht, ab wann ich meine Bar wieder richtig aufmachen kann. Und das ist sehr frustrierend.

Wir konnten zwar wieder öffnen, aber die Umsatzeinbußen sind zu groß, als dass ich mich erleichtert fühlen könnte. Meine Cocktailbar ist ja auch keine klassische Sommergastronomie. Das sind jetzt sowieso die schwersten Monate. Was momentan fehlt, ist sozusagen der finanzielle Winterspeck. Der ist natürlich durch den langen Lockdown nicht vorhanden. Nichtsdestotrotz ist es toll, wieder offen zu haben und dass die Gäste und das Personal wieder zurück sind. Der Gästekontakt ist wirklich bezaubernd, sie sind zuckersüß – das macht total Spaß. Die Stimmung ist viel besser, als zum Beispiel nach dem ersten Lockdown. Da waren die Leute sehr verhalten. Das ist dieses Mal anders.“

Optimismus siegt

„Ich persönlich sehe allem positiv entgegen, weil es jetzt einfach weitergehen muss. Zumachen ist keine Option. Ich habe beschlossen, optimistisch in die Zukunft zu blicken und möchte mich dem negativen Szenario, dass im Herbst der nächste Lockdown droht, nicht hingeben. Während des vergangenen Lockdowns war ich glücklicherweise gut beschäftigt, weil ich mit „Lupita Margarita“ einen eigenen Cocktail auf den Markt gebracht habe. Ich bin sehr froh darüber, dass ich so viel zu tun hatte, weil ich gemerkt habe, dass mir das viele zu Hause sein nicht liegt. Dass man jetzt wieder zufällig Menschen trifft, mit denen man dann zusammen sitzen kann, finde ich toll. Mir hat das sehr gefehlt. Ich habe festgestellt, wie wichtig mir der Austausch und dieser Input ist, um kreativ arbeiten zu können.“

The Chug Club Drinks (Copyright: Tim Gerdts)

 

The Chug Club-Besitzerin Betty Kupsa (Copyright: Tim Gerdts)

Bettina, kurz Betty, Kupsa ist eine der bekanntesten und erfolgreichsten Barkeeperinnen Hamburgs. Bevor sie sich mit ihrem Konzept „The Chug Club“ 2015 selbstständig gemacht hat, arbeitete sie in der renommierten Bar „Le Lion“. Im „Chug Club“ hat sie sich auf Agaven-Spirituosen spezialisiert: Tequila, Mezcal, Raicilla und Sotol bestimmen die Getränkekarte. Ihre Kreationen serviert Kupsa im Chug – einem speziellen kleinen Cocktailglas. Von „Mixology“, einem führenden Magazin für Barkultur, ist ihr Laden 2017 zur besten Bar des Jahres in Deutschland gekürt worden.

 

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