Keine Kellner:innen in Sicht: Pandemie bedingt Personalnot im Gastgewerbe

Keine Kellner:innen in Sicht: Pandemie bedingt Personalnot im Gastgewerbe

Viele Gastronom:innen suchen derzeit händeringend nach Personal. Der Grund: Während des langen Lockdowns haben sich Arbeitskräfte in andere Branchen umorientiert. Welche Auswirkungen hat der Personalmangel?

Copyright: Shangyou Shi on Unsplash

„Es war noch nie so schlimm wie aktuell“ – Markus Deibler atmet tief durch und schluckt dann. Er ist ein vom Personalmangel betroffener Gastronom. Vor neun Jahren hat er gemeinsam mit Geschäftspartnerin Luisa Mentele den Eissalon Luicella’s gegründet. Heute betreibt das Team sechs Standorte in Hamburg und einen in Lübeck. Alle in der Branche würden durch die kurzfristige Gastro-Öffnung nach dem langen Lockdown gerade gleichzeitig nach neuen Mitarbeiter:innen suchen. „Wenn dann mal jemand aus dem bestehenden Team in den Urlaub fährt oder zum Beispiel wegen einer Impfung oder Krankheit flach liegt, wird’s schwierig“, erklärt Deibler. Zeitweise habe er gerade Anfang Juni nicht gewusst, wie er seine Eissalons besetzen sollte. 

„Auf einmal war die Nachfrage nach Personal extrem hoch.“

Eine ähnliche Perspektive hat Barbara Anders. Sie betreibt mit dem Gastronomie Institut in Frankfurt am Main einen Personaldienstleister und stellt Service- und Küchenkräfte für Veranstaltungen und à la carte Geschäft. Außerdem bietet das Gastronomie Institut Schulungen und Fortbildungen an. „Nach dem Lockdown war es so, als hätte jemand ganz plötzlich einen Schalter umgelegt. Auf einmal war die Nachfrage nach Personal extrem hoch“, sagt Anders. Dabei handele es sich jedoch nicht um eine dauerhafte Überlastung: Eine häufige Situation sei, dass fünf verschiedene Kund:innen adhoc Personal für einen bestimmten Tag anfragen. „Das stellt sich wirklich als Problem dar, weil man nicht so viele Mitarbeiter:innen nur für einen Tag einstellen kann“, weiß Anders. Sie selbst habe in ihrem Unternehmen auch eine Abwanderung von Personal gespürt: „Einigen war die Situation zu ungewiss, weil wir lange nicht wussten, wann es weitergehen kann. Das betrifft vor allem gelernte Fachkräfte, die allein vom Kurzarbeiter:innengeld nicht leben konnten. Viele haben sich Jobs in anderen Branchen gesucht“, sagt die Personaldienstleisterin. 

Weniger Events, mehr à la carte

Ein klassisches Einsatzgebiet des Gastronomie Instituts sind vor allem Events. Doch auch hier stellt Anders eine Entwicklung hin zum Tagesgeschäft fest. „Mittlerweile erhalte ich viel mehr Anfragen fürs à la carte Geschäft, als das noch vor der Krise der Fall war. Die Anfragen kommen teilweise auch nicht mehr nur aus Frankfurt und dem Rhein-Main-Gebiet, sondern weit darüber hinaus, sogar aus der Schweiz“, beobachtet Anders. Veranstaltungen seien momentan weniger gefragt: „Gerade im Businessbereich handelt es sich um Termine mit wenigen Teilnehmer:innen – da werden dementsprechend weniger Arbeitskräfte eingesetzt. Aber die Restaurants werden sehr rege besucht, da ist die Nachfrage enorm.“, sagt Anders.

Photos der Interviewpartner:innen - links: Barbara Anders (Copyright: privat), rechts: Markus Deibler (Copyright: Luicella's)

Zahlen zeigen Rückgang an Beschäftigten

Die Tragweite des prekären Personalmangels in der Gastronomie machen auch die Zahlen deutlich: Im Februar 2021 habe der Rückgang an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Gastgewerbe zwölf Prozent gegenüber dem Vorjahr betragen. So fasst es der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) in seinem Zahlenspiegel zum ersten Quartal 2021 zusammen. In absoluten Zahlen habe es 946.200 Beschäftigte gegeben. Das entspreche einem Rückgang von 129.500 Personen zum Vorjahresvergleich. 

Ein Blick auf die Zahlen der Beschäftigten in Kurzarbeit bildet den Hergang des zweiten Lockdowns ab: Im April 2020 sei in 105.700 Betrieben des Gastgewerbes Kurzarbeit realisiert worden – insgesamt 665.678 Kurzarbeiter:innen. Im Oktober 2020 seien es lediglich 41.774 Betriebe und 236.142 Kurzarbeiter:innen gewesen, so der DEHOGA.

Abwanderung in den Einzelhandel

Ganz anders ist es dem Lebensmitteleinzelhandel ergangen, der nicht von Schließungen eingeschränkt gewesen ist und sogar hat wachsen können. Das Online-Portal Statista berichtet über die Entwicklung des Umsatzes im Lebensmitteleinzelhandel und des Bruttoinlandsprodukts nach Quartalen in Deutschland im Jahr 2020. Demnach sei das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal des Jahres 2020 zwar insgesamt um 11,3 Prozent niedriger gelegen als im Vorjahr; demgegenüber habe aber der Lebensmitteleinzelhandel Umsatzzuwächse in Höhe von 16,6 Prozent verzeichnet. Somit gehört er zu den wenigen Branchen, die in der Corona-Krise ein Umsatzplus haben einstreichen können. 

„Bar war gestern“

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Für viele Beschäftigte aus der Gastronomie mag also ein Wechsel in die benachbarte Branche eine attraktive Chance dargestellt haben. Das haben auch die Supermarktketten erkannt: Mitten in der Krise hat Lidl gezielt um Arbeitskräfte aus Gastronomie und Hotellerei geworben – mit der Aussicht auf sichere Jobs in der Pandemie. Besonders umstritten war ein Post von Lidl in den sozialen Medien, der mit dem Slogan „Bar war gestern“ daherkam. Scharf kritisiert wurde die Kampagne unter anderem von der Initiative „Leere Stühle“ aus Gastronom:innen, Veranstalter:innen, Hotelières und Hoteliers. Auf eine Anfrage von tagesschau.de hat sich das Unternehmen entschuldigt: „Es tut uns leid, dass wir mit dem (...) Post für Unmut gesorgt haben. Das Feedback auf unseren Social-Media-Kanälen dazu haben wir sehr ernst genommen und als Konsequenz entschieden, den Beitrag nach einem Tag zu löschen.“ Wie viele Kräfte tatsächlich im Lockdown erfolgreich aus der betroffenen Gastro-Branche abgeworben worden sind, hat Lidl aus Datenschutzgründen nicht bekanntgeben wollen.