„Es gibt 100 gute Gründe zu trinken und 100 gute Gründe für Alkoholfrei“

„Es gibt 100 gute Gründe zu trinken und 100 gute Gründe für Alkoholfrei“

Isabella Steiner betreibt den ersten alkoholfreien Späti Deutschlands – nullprozent.berlin. Im Interview spricht sie darüber, warum sie keine Alternativen an Süchtige verkauft, dass es in fünf Jahren selbstverständlich sein wird, Alkoholfreies in der Gastronomie anzubieten und wie ein Leben ohne Alkohol aussehen kann.

Interview: Katrin Börsch

 

Isabella Steiner (Copyright: JaclynLocke)

Isabella, du hast Soziologie studiert. Was findest du aus soziologischer Sicht interessant am Thema Alkoholfrei?
Die Themen Alkoholkonsum und Alkoholfrei, sind gesellschaftlich relevant, weil Trinken was sehr soziales ist und das Trinken gerade hier in unserer deutschen Kultur sowas Alltägliches und Normales ist. Da müsste man mal genau hinschauen und sich fragen, warum das so ist. Das fasziniert mich. Auch zu verstehen, dass es Exklusion gibt, wenn man davon nicht Teil ist.

Bei unserem Vorgespräch meintest du, du seist gerade etwas verkatert. Was hast du persönlich für einen Bezug zu dem Thema?
Ja ich trinke immer noch gerne. Ich könnte das Thema gar nicht so bearbeiten, wenn es nicht für mich so relevant und alltagsbezogen wäre. Und beim Kuratieren des Sortiments frage ich mich dann schon: Wie muss ein alkoholfreies Sortiment eigentlich sein, dass ich es selber trinken würde? Da spielen viele Komponenten mit rein. Vom Geschmack, über das Aussehen, bis hin zum Gefühl und zur Frage, ob es das Rituelle widerspiegelt.

Was hältst du von Ratgeberliteratur rund ums Thema und wovon handelt dein Buch „Mindful Drinking“, das du gemeinsam mit Katja Kaul geschrieben hast?
Es gibt in den USA und in England diese Koryphäen, die diese Sober-Bewegung in Gang gebracht haben. Diese ganze Ratgeberliteratur handelt aus der Perspektive Sucht heraus. Klar, Sucht ist ein Teil vom Trinken, aber ich möchte die andere Geschichte erzählen. Nämlich die des Flexi-Drinkers. Das leitet sich von Flexitarier ab, also einem Menschen, der manchmal Fleisch isst. So kann der Flexi-Drinker auch beides. Es soll also nicht dogmatisch darum gehen, Alkohol zu verteufeln, sondern über den Konsum zu sprechen, ihn zu reflektieren und die Wahl zu haben. Wir haben unser Buch aus den Perspektiven Genuss, Gesundheit, wie wird es hergestellt, und Homebar – was kann ich zu Hause trinken – geschrieben. Natürlich haben wir das Thema Sucht auch aufgegriffen. Es war aber nur ein Teil davon. Ich sehe uns da schon in der Verantwortung, aufzuklären. Kommt ein ehemaliger Alkoholiker in unseren Laden, der sagt dass er seit zehn Jahren alkoholfreien Wein trinkt, dann beraten wir ihn gerne. Aber wir haben da eine ganz klare Haltung gegenüber der Sucht. Wenn jemand süchtig ist, dann empfehlen wir keine Alternativen, weil sie erinnern.

Nüchtern.berlin Spätkauf (Copyright: Katja Ruge)

In anderen Ländern, gerade aus dem skandinavischen oder dem arabischen Raum spielt das Thema Alkoholfrei eine große Rolle. Wie siehst du den Trend hin zum Alkoholfreien in Deutschland?
Ich sehe das bei uns in Deutschland ähnlich zu dem Thema Vegan. Wenn du dir anschaust, welche Haltung vor zehn Jahren dazu in unserer Gesellschaft verankert war und wie sie jetzt ist, dann siehst du welcher Wandel sich da vollzogen hat. Genau so ist das auch beim Thema Alkoholfrei. In fünf Jahren ist das sicherlich ein Standard, dass wir in unserem Kühlschrank beides haben: einmal mit und einmal ohne. Und so wird es auch in der Gastronomie sein, dass ganz selbstverständlich eine alkoholfreie Alternative angeboten wird.

Wie kann so ein Lifestyle aussehen, der ohne Alkohol auskommt?
Sobald die erste Sonne rauskommt, denkt doch jeder gleich an Aperol Spritz. Und ich finde es faszinierend, darüber nachzudenken, wie so ein Lifestyle aussehen kann ohne Alkohol. Es ist mir ehrlich gesagt, immer noch ein Rätsel, wie ein Leben ohne Alkohol auch spannend sein kann. Darüber denke ich gerade nach.

 

Dein alkoholfreier Späti „nüchtern.berlin“ ist vor kurzem drei Jahre alt geworden. Wie kamst du auf die Idee, ein solches Konzept zu eröffnen?
Ich fand es total spannend, auf einem weißen Blatt Papier zu schreiben, weil sich dem Thema niemand annehmen wollte. Die Auswahl an Alternativen und auch an Partnern war sehr klein. Ich nannte unseren Laden den ersten alkoholfreien Späti Deutschlands. Und jetzt eröffnen wir Store Nummer drei. Wir haben vor kurzem einen in Hamburg gegründet und eröffnen jetzt den dritten in Berlin.

Copyright: Katja Ruge

Welche Menschen kommen denn so in euren Laden?  
Es gibt viele Menschen, die gar nicht so gerne trinken und eher aus sozialen Gründen trinken. Und es gibt viele, die aus gesundheitlichen Gründen nicht trinken. Dann gibt es wiederum Menschen – vor allem Frauen –, die diesen Kontrollverlust nicht mögen. Es gibt schwangere Frauen, Stillende und Berufsgruppen, die nicht trinken können, Menschen, die aus religiösen Gründen nicht trinken oder die per se keinen Alkohol vertragen. Es gibt 100 gute Gründe zu trinken und 100 gute Gründe für Alkoholfrei.

Wie sieht denn euer Stammhaus aus? Wie viele Produkte hab ihr im Angebot?
Wir haben circa 150 verschiedene Alternativen, die in roten Schwerlastregalen stehen. Wir haben 107 Quadratmeter. Das ist viel. Das liegt daran, dass es unser Dreh- und Angelpunkt ist. Denn wir betreiben auch unseren Online-Shop von hier aus. Unser Kartonagen- und Warenlager ist hier mit dabei. Die Verkaufsfläche ist auf 30 Quadratmetern.

Was gibt es denn außer alkoholfreiem Sekt und Wein sonst noch so bei euch zu kaufen?
Wir haben alkoholfreien Limoncello, Gin, Whisky, Wermut, Bier und Aperol-Alternativen. Alles, was das Herz begehrt.